Worum geht es?
Die Geschichte und Hintergründe zum Hambacher Forst sind hinreichend dokumentiert und es macht wenig Sinn, dass ich all das hier nochmal beschreibe. Wer sich mit Informationen eindecken will wird z.B. hier gut bedient:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hambacher_Forst
Alles was ich hier absondere erhebt keinerlei Anspruch auf Neutralität oder allein seelig machende Wahrheit, es ist absolut subjektiv und gelegentlich auch emotional. Manchmal vielleicht sogar ungerecht oder polemisch. Es ist der Versuch eines alten Sackes, der über 30 Jahre ein völlig unpolitisches und gesellschaftlich Null engagiertes Leben geführt hat, zu beschreiben, was er erlebt hat und wie er damit umgegangen ist und noch umgeht.
Viele Menschen kennen das Thema Hambacher Forst aus kurzen Info-Fetzen in TV, Radio und Presse oder aus zweifelhaften Posts in sozialen Medien. Ich war und bin dabei. 12 Räumungstage mittendrin. Viele Besuche dazwischen und danach, ungezählte Gespräche mit Aktivisten, Bullen, Bauern, Dorfbewohnern. All das findet seinen Niederschlag in diesem Beitrag.
Ich bemühe mich dabei, so sachlich wie es geht zu bleiben, aber eins ist klar: ich mag keine Bullen, ich verabscheue ihren Corpsgeist und die sich daraus ergebenden Verhaltensweisen. Diese Einstellung hat viel mit persönlichen Erfahrungen in den 70er und 80er Jahren zu tun. Ich war unmittelbares Opfer von massiver Polizeischikane, habe erlebt wie wenig es bringt sich dagegen juristisch zur Wehr zu setzen. Es wurde versucht mich als Informant anzuwerben. Meine Ablehnung bracht mir erneute Schikanen über Monate ein.
Sicher ist nicht jeder Cop ist ein Rechtsbrecher und Gewalttäter aber jeder Bulle, der zu illegalem Verhalten seiner Kollegen schweigt oder es aktiv deckt ist für mich potentiell genauso ein Bastard wie die übergriffigen Bullen selbst. Denn nur deshalb - wegen dieses Corpsgeistes - funktioniert dieses repressive System. Und ja, es gibt Ausnahmen! Ich selbst habe im Hambacher Forst einen Cop kennengelernt, den ich als "anständig" und fair empfinde. Zusätzlich verbindet uns ein fürchterliches Erlebnis im Wald. Aber auch er ist ein Bulle und ich weiß nicht, wie er sich verhalten würde, wenn er einen Einsatzbefehl erhält, den er mit seinen Überzeugungen oder gar seinem Gewissen nicht in Einklang bringen kann.
Mein Geschreibe hat viel mit dem Verhalten von Polizei zu tun und ist stark von meinen Erfahrungen und Erlebnissen geprägt. Jeder der mein Zeug liest sollte das wissen. Wem das nicht passt, der lässt es besser.
...Ach so, wer nen Tippfehler findet darf ihn behalten.....
Wie bin ich dazu gekommen?
Marcus, ein Freund von mir hatte mir schon viel vom "Hambi" erzählt und wollt immer mal mit mir dort spazieren gehen - es hat sich nie ergeben. Dann kam der 13. September 2018.
An diesem Tag saß ich im Büro und erhielt die Nachricht, dass der Hambi geräumt würde. Die Polizei würde massiv gegen die Aktivisten vorgehen. Die Suche im Internet führte mich zu einem Live-Stream von Spiegel Online (es kann auch focus oder ein anderes Medium gewesen sein). Hier wurde über Stunden die Räumung des Tri-Pods am sogenannten "Jesus Point" gezeigt. Parallel erreichten mich Nachrichten über sehr harte Polizeiensätze und darüber, dass es praktisch unmöglich sei das zum "Gefahrengebiet" erklärte Areal ohne Presseausweis zu betreten.
Einen Presseausweis hatte und habe ich. Ich dachte mir, "Wenn das System es so will, dann soll es eben so sein". Heimfahrt, Ausrüstung gepackt und ab dem 14.09.2018 habe ich die Räumung des Hambacher Forstes dokumentiert.
Was habe ich erlebt?
Ich werde nicht den Versuch unternehmen, meine Erlebnisse chronologisch und in Form eines Tagebuches zu beschreiben. Ich könnte es überhaupt nicht.
Von dem Zeitpunkt an, als ich mit meiner Kamera erstmalig in den Hambacher Forst ging, befand ich mich in einem psychischen Ausnahmezustand.
In Spitzenzeiten befanden sich ca. 4.000 Polizisten in und um ein 200ha (das sind 2qkm) grosses Waldstück. Dazu kamen unzählige Polizeifahrzeuge, schweres Gerät wie Hubsteiger und die unvermeidlichen RWE-Mitarbeiter.
Die Atmosphäre war surreal, von Aggression, Gewalt und Zerstörung geprägt. Fast ununterbrochen waren die Motoren unterschiedlicher Fahrzeuge zu hören.
Im Hambacher Forst befanden sich im September diverse Baumhaussiedlungen - sogenannte Barrios - mit jeweils unterschiedlich vielen Baumhäusern und Bewohnern.
Ich habe aus unterschiedlichen Gründen nicht alle Räumungen begleitet. Zum einen gab es häufig zeitgleiche Polizeiaktivitäten an unterschiedlichen Stellen, zum Anderen war ich von insgesamt 16 Räumungstagen nur 12 vor Ort.
Dokumentiert habe ich die Räumungen von Oaktown, Norden, Cosy Town, Beech Town und Lorien. Viel Zeit habe ich daneben auch im Kleingartenverein, der Mahnwache und dem Hambi-Camp verbracht.
Obwohl ich mich zu jeder Zeit klar als Pressevertreter zu erkennen gegeben habe - Presseweste, Helm mit Aufschrift "Presse", offen getragener Presseausweis - durfte ich regelmässig und in unterschiedlicher Form die Repressalien der Polizei geniessen.
Diese reichten vom Verbot das Gelände zu betreten, Einschüchterungsversuche mit Hunden, Beleidigungen bis zur Androhung physischer Gewalt.
Grundsätzlich hat die Polizei gegenüber Pressevertretern keine Möglichkeit zur Behinderung der Dokumentation der Ereignisse ausgelassen. Auf vermeintlich kritische Situationen wurden z.B. immer und umgehend durch Sichtschutzketten aus Beamten der Blick versperrt. Diese Verhalten wurde in einem Video exemplarisch von mir dokumentiert.
Während die für Presse zugänglichen Bereiche minimiert wurden, konnten sich Mitarbeiter der RWE überall frei bewegen und photographieren. Diese Photos wurden dann mehrfach der Presse zum Kauf angeboten. Entsprechende Hinweise an die Polizei blieben ohne erkennbare Konsequenzen.
Norden
Die Räumung des Barrios Norden war die erste Räumung, die ich vollständig begleitet habe. Ich habe sie über 2 Tage begleitet. Diese Räumung genoss nur beschränkte Medieaufmerksamkeit, da zeitgleich Maßnahmen in Oaktown liefen. Die Räumung von Oaktown wurde - sicher auch wegen des "Tunnels" und der Anzahl der Baumhäuser - medial sehr intensiv begleitet.
Wie eigentlich immer wurden am Vortag der Räumung vorbereitende Maßnahmen durchgeführt. Konkret wurden Bäume und Buschwerk gerodet um den ungehinderten Zugang von Hubsteigern zu den Baumhäusern zu ermöglichen.
Die eigentliche Räumung verlief weitestgehend unaufgeregt - von beiden Seiten. Insbesondere die eingesetzten Klettercops verhielten sich in meinen Augen sehr professionell. Es gab Situationen in denen Besetzer und Klettercops lächelnd in luftiger Höhe miteinander sprachen. Ich habe die Situation oft als von gegenseitigem Respekt gekennzeichnet erlebt. Eine Stimmung die ich z.B. bei der Räumung von Lorien komplett anders erlebt habe.
Die Räumung des letzten Baumhauses in Norden dauerte im Verhältnis zu den anderen Räumungen sehr lange.
In diesem Haus hatten sich 2 Menschen aneinander gelocked. Die genaue Konstruktion des Lock-On konnte ich nicht erkennen. Das Lock-On war jedoch offensichtlich so konstruiert, dass die beiden Menschen nur gemeinsam und noch miteinander verbunden geräumt werden konnten.
Bei dieser Räumung kam ich erneut mit dem eigenwilligen Verständnis der Polizei von Pressefreiheit in Berührung. Dieses sehr eigenwillige Verständnis ist mir wahrscheinlich ein eigenes Kapitel wert....mal sehen.
Ohne den geringsten Grund wurde während der Räumung des letzten Baumhauses der, ohnehin sehr großzügig bemessene, Sperrbereich vergrössert. Unmittelbar nachdem die beiden letzten Menschen geräumt waren bildeten ca. 10 Polizisten einen halbkreisförmigen Sichtschutz, der es den anwesenden Pressevertretern quasi unmöglich machte das weitere Geschehen zu beobachten oder zu dokumentieren. Jeder Protest wurde rüde abgeschmettert. Wie häufig hatten Mitarbeiter der RWE ungehinderten Zugang in den Sperrbereich und konnten mit Handies und Kameras photographieren. Eine dieser Gestalten hat mir im Nachgang Photos zum Kauf angeboten.
Es stellt sich die Frage, warum Bullen geradezu reflexartig der Presse die Sicht auf ihre Aktivitäten verstellen. Ich habe dieses Verhalten in Norden, Lorien, dem Wiesencamp und bei der Gleisbesetzung zig-fach beobachten können. Diese Vorgehensweise ist weder zufälliges noch individuelles Handeln. Das Verhalten ist einstudiert und routiniert. Warum will Polizei bei der Arbeit nicht beobachtet werden?
Bei einem der beiden zuletzt geräumten Menschen handelte es sich um "Winter". Bei der Räumung waren ca. 5-6 Medienvertreter anwesend und wir haben die beiden Menschen bis zum finalen Abtransport begleitet. Nachdem das Lock-On entfernt war ging "Winter" selbst von Norden Richtung Abbruchkante. Der zweite Mensch wurde getragen. Beide Menschen wurden zu einem Polizeibus gebracht, der jedoch nicht für den Abtransport Richtung GESA geieignet war. Der zweite Mensch hatte offensichtlich erhebliche Schmerzen und wurde an diesem Fahrzeug versorgt. Derweil warteten "Winter" von Polizisten bewacht und wir Medienvertreter, mit etwas Abstand von diesem Fahrzeug, auf den Bus zum Abtransport. In dieser Situation entstand völlig spontan die Ansprache von "Winter". (siehe Nette Menschen, starke Gefühle und geschenkte Stiefel")
Zu dieser auf Video aufgezeichnetet und live gestraemten Ansprache gab es in kürzester Zeit jede Menge Interpretationen und Kommentare. Polizisten seighen "Tief bewegt" gewesen, hatten "mit den Tränen gekämpft", hätten sich abwenden müssen.....
Ich kann nicht beurteilen, wer bewegt war oder nicht. Mit den Tränen hat jedenfalls keiner der anwesenden Cops kämpfen müssen. Bei den anwesenden Beamte handelte es sich um Mitglieder einer BFE, die sicher nicht so leicht aus der Fassung zu bringen sind. Ja, man sieht im Video wie Polizisten ihre Köpfe drehen, das hat einen simplen Grund. In Blickrichtung des Viideobetrachters links, etwa 10m hinter dem Geschehen befand sich das oben genannte Polizeifahrzeug. Aus dieser Richtung waren ab und an leise Schmerzensschrei von dem zweiten Menschen zu hören und es gab dort auch Aktivitäten der Polizei. Auf der anderen Seite fuhr irgendwann der Bus zum Abtransport vor.
Woher ich das alles weiß? ich stand unmittelbar neben der Person, die das Video aufgenommen hat. Und ich hatte Tränen in den Augen.
Beechtown
Der 19. September 2018 wird mir ewig in Erinnerung bleiben.
Wie bei fast jedem Besuch im Hambi besuchte ich zuerst den Kleingartenverein um zu erfahren wo im Wald aktuell welche Maßnahmen durchgeführt werden. Dort erfuhr ich, dass Räumungen in Beechtown und Cosytown laufen würden und begab mich dorthin.
Da die grösseren Maßnahmen in Beechtown abliefen konzentrierte ich mich auf diese.
Gegen 15:47 hörte ich ein Geräusch aus einem Baum, das sich wie splitterndes Glas anhörte. Ich schaute nach oben, sah etwas nicht identifizierbares, kleines fallen. Unmittelbar danach sah ich Steffen Meyn abstürzen. Er schlug mit einem dumpfen Geräusch unmittelbar vor mir in einer Entfernung von ca. 25 Metern auf. Steffen verstarb an den Folgen dieses Sturzes. Obwohl ich ihn nur oberflächlich kannte werde ich diesen Tag sicher nie vergessen.
Photos die ich in diesem Zusammenhang gemacht habe liegen unter Verschluß
Der Tag danach
Am Tag nach Steffens Tod war ich morgens um ca. 07:00 an der Absturzstelle. Ich wollte und musste nach Erlebnis und dem Radau vom Vortag alleine und in Ruhe ein paar Dinge in meinem Kopf klar bekommen. Als ich den Wald betrat war das erste Gefühl "Hier stimmt was nicht." Irgendetwas war anders an diesem Morgen und nach einiger Zeit war mir klar was. Es war still - totenstill. Keine Motorengeräusche, keine Kettensägen....nichts außer Vogelgezwitscher. So verrückt es klingen mag, es war surreal. Der Wald hörte sich an wie sich ein Wald anhören sollte und es war befremdlich.
Lorien
Von allen Räumungen und sonstigen Polizeiaktivitäten die ich im Hambacher Forst erlebt habe war die in Lorien am 27.09.2018 die mit Abstand brutalste.
Im Rahmen dieser Räumung kam es reihenweise zu Polizeigewalt und die Pressefreiheit wurde in besonderem Umfang mißachtet.
Ich selbst war bereits am Vortag vor Ort und es war klar, dass am Folgetatg ein größerer Polizeiaktion zu rechnen ist. Aufgrund meiner gesammelten Erfahrungen war ich bereits morgens um 05:00 in Lorien, um sicher zu stellen, die kommenden Ereignisse nicht nur von der polizeilich eingerichteten "Pressetribüne" verfolgen zu können.
Auch diese Räumung werde ich nicht im Detail beschreiben. Nur soviel: Ich selbst hatte im Verlauf der Räumung Todesangst. Im Rahmen der Räumung einer Sitzblockade unter einem der Baumhäuser trieb die Polizei ca. 80 Personen in eine ca. 1 Meter hohe und breite Barrikade aus Ästen und Totholz. Ich stand zu diesem Zeitpunkt mit dem Rücken zu dieser Barrikade und stürzte rückwärts hinein, mein Fuß verklemmte sich im Holz und ich konnte nicht mehr aufstehen. Dann sah ich nur noch Füße über mir. Die Füße von Menschen, die voller Panik von Poliezeikräften mit ihren Schilden in eben diese Barrikade getrieben wurden. Meine Hilferufe wurden ignoriert. Aktivisten haben sich schließlich schützend vor mir positioniert und mich befreit.
Bei der Räumung von Lorien wurden Menschen von Polizisten wie Vieh behandelt.
Da die Fahrzeuge zum Abtransport von Verhafteten nicht vor Ort waren wurden Menschen über Stunden mit Kabelbindern an Bäume gefesselt.
Zelte wurden niedergetreten und mit Messern zeschnitten.
Mir wurde von Polizisten Schläge angedroht, "falls ich mit meiner Scheißkamera nicht verschwinde. Insbesondere Spezialeinheiten aus Bayern taten sich hinsichtlich Polizeigewalt besonders hervor. Im persönlichen Gespräch mit Polizisten aus NRW wurde dies auch von Kollegen sehr kritisch gesehen.
Der Zynismus mit dem Teile der Presse über die Vorgänge "berichtet" haben ist dabei fast genauso ekelerregend wie die Umstände selbst.
Überhaupt ist die Rolle von Blättern wie BILD, Aachener Nachrichten, Aachener Zeitung, WAZ aber auch von Teilen des WDR gelegentlich grenzwertig bis unseriös.
Berichterstattung und die von mir und vor Ort befindlichen Kollegen erlebten Ereignisse hatten oft nichts miteinander zu tun. Stattdessen wurden Pressemitteilunge der Polizei Aachen 1:1 abgeschrieben.
Berichterstattung über Polizeigewalt fand - obwohl zig-fach dokumentiert - quasi nicht statt.
Von Innenminister Reul verbreitete Lügen wurden publiziert, die Belegen für deren Unwahrheit jedoch nicht. Echte Recherchen von Journalisten der o.g. Blätter konnte ich oft nicht ernsthaft wahrnehmen.
Ohne Video-Blogger und Publizisten in den sozialen Medien wäre vieles im Dunklen geblieben. Tatsache ist aber, dass die teilweise tendenziöse, schlecht recherchierte und teils unwahre Berichterstattung von Blättern wie der BILD schlussendlich meinungsbildend für die Mehrheit der Bevölkerung ist.
Obwohl Menschen wie ich nicht wirklich eine große Reichweite - jedenfalls nicht im Vergleich zu BILD und Co. - erzielten, glaube ich, dass unser Einsatz wichtig war, ist und sein wird.
Nicht nur einmal konnte ich erleben, wie sich Polizeiverhalten veränderte, wenn wir mit Kameras vor Ort erschienen. Wenn meine Tätigkeit nur den ein oder anderen Polizeiübergriff verhindert hat, dann hat es sich gelohnt immer wieder vor Ort zu sein.
Dieser freundliche Cop aus Bayern und ich waren uns auf Anhieb sympathisch. Irgendwie war er wenig erfreut über meine Anwesenheit bei der Auflösung der Sitzblockade in Lorien.
Noch weniger erfreut war er über den Umstand, dass seine Ausrüstung und sein bedrohliches Auftreten mich nicht eingeschüchtert haben.
Nach einem munteren Austausch verbaler Nettigkeiten - bei dem wir beide sehr darauf bedacht waren juristisch unangreifbar zu bleiben - bot eben jener Rambo mir Schläge an, falls ich nicht mit meiner "Scheißkamera" verschwinde.
Bevor das ganze dann eskalierte wurde er von einem Kollegen aus NRW beruhigt. Diese sagte mir später, dass das Auftreten seiner bayerischen Kollegen gelegentlich "schon hart an der Grenze" sei.
A.C.A.B.
All Cameras Are Beautiful
Lorien - was davon übrig blieb
Lonely Oak
Reste der Barrikade, in die ich ich im Rahmen der Räumung von Lorien im Herbst 2018 gestürzt bin. Hier hatte ich wirklich Schiss! Auf dem Rückend liegend zu erleben, wie Polizei die Teilnehmer eine Sitzblockade auf einen zutreibt ist kein wirklich gutes Gefühl.
Razzia im Wiesencamp - Die Pfefferorgie
Am Morgen des 28.12.2018 erhielt ich nachricht aus dem Hambacher Forst, dass eine grössere Poilzeiaktion in Vorbereitung sei. Also fuhr ich hin. Vor Ort gab es dann sehr unterschiedliche Informationen über sogenannte "Aufräumarbeiten" im Wald und eine Razzia im Wiesencamp.
Zum ersten mal überhaupt entschloss ich mich das Wiesencamp zu besuchen. Dort angekommen wurde ich gemeinsam mit einigen Kollegen der Presse von einem mir bekannten Poizeisprecher in Empfang genommen und auf das Gelände des Wiesencamps geleitet. Uns wurde versichert, dass wir uns frei bewegen und frei berichten könnten. Dem war dann auch tatsächlsich so.
Was sich dann vor Ort ereignete gibt das von mir gemachte und live gestreamte Video sicher am besten wieder.
https://twitter.com/The_Wesp/status/1078591030692376577
In knappen Worten: Es wurden 9 große Flaschen "Pfefferspray" in einen Raum von ca. 12 Kubikmetern gesprüht um 2 Personen aus dieser - Fuchsbau genannten - Behausung zu treiben.
Die Unverhältnissmäßigkeit dieses Einsatzes ist unfaßbar, zumal für die Polizei zu keiner Zeit eine Gefahr bestand, die dieses Vorgehen rechtfertigt hätte. Es sollte einfach nur schnell und bequem ablaufen.
Das verlinkte Video wurde über 17.000 mal gesehen, der Polizei und Medien zugänglich gemacht, eine rechtliche Betrachtung des Polizeieinsatzes hat meines Wissens nicht stattgefunden.
Das Video ist entstanden, weil ich vor Ort offensichtlich der einzige war, der live streamen konnte oder wollte. Das ist nun überhaupt nicht mein Geschäft und entsprechend ist es dann auch gelaufen ;-) nach 20 Minuten war der Handy-Akku leer. Also zurück zum Auto, Powerbank geholt, alles verstöpselt und weiter. Da ich aber nur gefilmt habe, gibt es von dieser Horroraktion keine Photos von mir.
Das Volksfest
Die Polizei gab am 02.10.2018 bekannt, sie habe das letzte Baumhaus geräumt und der Wald sei frei von Besetzern. Damit sei der Einsatz beendet. Tatsächlich war der Wald nie frei von Besetzern, aber das ist eine andere Geschichte ;-)
Für den 06.10.2018 war eine Großdemo mit erwarteten 20.000 Teilnehmer für den Erhalt des Hambi geplant. Die Genehmigung der Demo und eines Versammlungsortes wurde immer wieder verzögert.
Am 05.10.2018 verfügte das OVG Münster einen vorläufigen Rodungsstopp für den Hambacher Forst. Spätestens jetzt war auch IM Reul und der Polizei klar, dass ein Verbot der Demo sinnfrei wäre.
Schlußendlich fand die Demo, trotz "Sicherheitsbedenken" der Bullen auf dem Acker neben der Mahnwache statt. Mit einer logistischen Höchstleistung wurde dort vom 05. auf den 06.10.2018 eine Bühne nebst notwendiger Infrastruktur für eine Großveranstaltung installiert.
Ich war bereits seit dem 04.10.2018 vor Ort und parkte in der Nacht auf den 06.10. mit meinem fahrbaren Bett neben einem kleinen Wäldchen am äussersten Ende des Ackers auf einem Feldweg.
Gegen 3:00 wurde ich durch klopfen und den Schein von Taschenlampen geweckt - sofortiger Alarmzustand!
Tatsächlich stand meine Karre einem Hubsteiger - kein Witz, einem Hubsteiger - der Demoveranstalter im Weg. Ich gebe offen zu, ich bin kurz aber heftig ausgeflippt. Nach allem was ich in den Wochen vorher - u.a. eben auch mit diesen verkackten Hubsteigern - erlebt habe, war das emotional too much.
Irgendwer hat mich dann beruhigt, ich bin von dort abgehauen und habe mein Rollbett auf dem Weg zum Collas Kieswerk abgestellt. Da bin ich dann auch bis zum Ende der Demo geblieben.
Ab dem frühen Morgen des 06.10. strömten Menschenmassen auf den Demoacker. Ich fuhr mit dem Fahrrad zum Bahnhof Buir und es zog sich eine 3-4 reihige Menschenschlange von dort zum Demogelände, auf dem zu diesem Zeitpunkt schon einige 1000 Leute waren.
Schnell war allen klar, dass es nicht bei den geschätzten 20.000 Teilnehmern bleiben würde. Am Ende waren es dann wohl eher 50.000 und etliche sind aufgrund von S-Bahnausfällen und Staus erst gar nicht angekommen.
Zur Demo selbst habe ich ein sehr ambivalentes Verhältnis. Hier tummelten sich im wesentlichen Menschen, die sich vorher vermutlichen einen Scheiß um den Hambi geschert haben.
Es waren Stände von Organisationen am Start, die vorher nie aktiv im Wald auftraten.
Es traten Bands auf, die nichts mit dem Hambi zu tun hatte. Bands die einen Bezug zu HambiBleibt hatten und z.B. im Wiesencamp auftraten waren nicht eingeladen.
Das Ganze hatte für mich den Charakter eines Volksfestes ohne wirklichen Bezug zum Hambacher Forst. Nach kurzer Zeit wurde es mir zu viel und ich setzte mich vor mein Auto in die strahlende Sonne. (siehe oben, der gelbe Pfeil).
Da saß ich dann, zerlumpt und verdreckt, müde und verwirrt. Ich kam mir vor wie ein Tier im Zoo. Die Menschen schauten in mein offenes Auto - in mein Schlafzimmer und manche sprachen mich auch an. Sie wollten wissen wie lange ich schon hier sei, mir war nicht sehr nach reden. Ich hab mir ein Chilli sin carne vorm Auto gekocht und gehofft, dass es aufhört. Wegfahren war unmöglich.
Die Horden zogen gröllend, musizierend und mit rollenden Verstärkern in den Wald. In den Wald, in dem Menschen & Tiere wochenlang dem Lärm von Kettensägen, Hubsteigern und schwerem Gerät ausgesetzt waren. In den Wald in dem kurz vorher Steffen gestorben war. Es hat mich angewidert, diese völlige Gedanken- und Empathielosigkeit fand ich zum kotzen. Ich bin ehrlich, so habe ich empfunden. Auf der Demo waren in meiner Wahrnehmung auch nur wenige Besetzer und diese nur kurz zu sehen. Würde mich nicht wundern, wenn ich mit meinen Gefühlen nicht alleine war.
Im Nachhinein sehe ich das ganze etwas differenzierter. Es war sicher gut, dass 50.000 Menschen gekommen sind. Ein starkes Signal, selbst wenn wahrscheinlich über die Hälfte nur zum Feiern kamen. Mit der Band "Revolverheld" wurde dem Mainstream schliesslich was geboten. Wie zu erwarten war, haben sich von den 50.000 danach keine 5% mehr blicken lassen. Ok, das war nicht so meine Veranstaltung.
Ende Gelände - Die Gleisbesetzung
Die Dokumentation der Ende Gelände Aktion 2018 gehört nun nicht wirklich zu meinen Glanzstücken ;-) Selten war ich so oft und heftig zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Hintergründe zu der Aktion will ich hier nicht wiederholen, alles ist auf der Seite von Ende Gelände wunderbar nachzulesen
https://www.ende-gelaende.org/de/news/der-grosse-erfolg-und-das-kleine-scheitern/
Ich war am Tag vor der eigentlichen Aktion auf demEnde Gelände Camp eingetroffen. Bis zum Schluß war ungewiss wo dieses Camp sein würde. Die Behörden hatten nichts unversucht gelassen, Ende Gelände zu behindern, wo es nur geht.
Da ich sehr früh in dem noch im Aufbau befindlichen Camp ankam, konnte ich erleben, wie es nach und nach füllte. Trotz eines Polizeikessels am Bahnhof Düren - hier wurden ca. 1.000 Passagiere des Ende Gelände Sonderzuges über Stunden festgehalten - kamen mehr und mehr Menschen auf den Acker. Am Ende sollen es über 6.000 gewesen sein.
Die Nacht war lausig kalt und verregnet. Wie bei allen Aktionen hatte ich mein fahrendes Bett dabei und habe leidlich geschlafen. Das Elend fing am nächsten morgen an. Da ich keine Ahnung hatte, was tatsächlich geplant war fuhr ich Richtung Morschenich. Es hieß dort sei ein Bagger besetzt......nix war...um es kurz zu machen, ich habe erst mitbekommen, dass die Gleise der Hambach Bahn - mit ihr transportiert RWE die Kohle vom Abbau zu den Kraftwerken - besetzt wurden, als sie bereit besetzt waren. Die eigentliche Aktion mit vorheriger Überquerung der Autobahn, alles an mir vorbei gegangen.
Ich kam gegen 16:00 an der Gleisbesetzung an und habe beschlossen, über Nacht zu bleiben. Die Gleise waren von ca. 2.000 Menschen besetzt. Diese haben die schweinekalte Nacht in Decken und Rettungsfolien gehüllt ausgehalten. Nur ganz wenige haben die Aktion vorzeitig beendet. Bewacht wurden die Besetzer von einer überschaubaren Anzahl von Polizisten, es waren vielleicht 200.
In der Nacht waren nur sehr wenige Medienvertreter vor Ort, wir konnten uns aber frei bewegen.
Zu meinem Standard-Thema: Bullen. Es war wieder alles am Start, was man sich vorstellen kann. Gemäßigtes Personal, genervtes Personal, beklopptes Personal...eben alles.
Einer der Cops fiel mir des öfteren durch völlig überzogenes Verhalten auf. Als einer der Besetzte satt in eines der Dixi-Klos zu pinkeln einen Baum vorzog musste er ihn brüllend und aggressiv zurechtweisen. Als ich einige Stunden später den gleichen Cop (von hinten, aus einiger Entfernung mit einem Weitwinkel) beim Pinkeln gegen eine Hecke (das besagt Dixie-Klo war co. 20m entfernt) photographierte, löste das eine Polizeiaktion gegen mich aus.
Beleidigungen, Beschimpfungen, Personalienfeststellung., Austausch von Nettigkeiten, Anruf bei der Einsatzleitung , neue Freunde fürs Leben gefunden....
Besonders spannend war es in der Nacht 2 Cops zuzuhören, die der Meinung waren, die Gleisbesetzung unter Zuhilfenahme der vor Ort befindlichen Wasserwerfer beenden zu können. "So kalt wie das ist sind die innerhalb von Minuten runter von den Gleisen."
RWE zerstört Manheim
Zu Beginn meines Engagements im Haibaches Forst war mir völlig unklar, was RWE in den umliegenden Dörfern veranstaltet. Erst als das Hambi-Camp in Manheim entstand verschlug es mich erstmals in eines der vom Abriss bedrohten Dörfer.
Der Anblick der sich mir hier bot war schockierend. Obwohl völlig unklar war ob dort jemals Braunkohle abgebaut werden wird, verwüstete RWE das Dorf Manheim ungeachtet der Tatsache, dass hier noch Menschen wohnten.
Noch heute wohnen Menschen sowohl in Mahnheim als auch in anderen Dörfern wie Morschenich und RWE treibt die Zerstörung dieser Dörfer weiter voran.
Besonders absurd war es zu sehen, wie Menschen völlig intakte Häuser zerstörten, die sie sich mit ihrem eigenen Einkommen niemals werden leisten können.
Was muss in diesen Menschen vorgehen?
Was muss in den Menschen vorgehen, die ihr Leben in diesen Häusern verbracht haben?
Was ist von Politikern und Vorständen zu halten, die Enteignung, Vertreibung und Zerstörung in diesem Umfang verantworten?
Jedesmal, wenn ich Manheim besuchte und noch besuche hatte und habe ich das Gefühl in ein Kriegsgebiet zu kommen.
Was ich dokumentierte war nicht die Zerstörung von Wohnraum, es war die Zerstörung von Familiengeschichten, von Erinnerungen und von Heimat.
Verantwortlich sind Menschen, die sonst gerne das Wort Heimat verwenden. Verantwortlich ist u.a. eine Partei, die auf Bundesebene den Heimatminister stellt. Aber wenn es um Geld geht spielt all das offenkundig keine Rolle mehr.
Wenn aus Angehörigen Nutzungsberechtigte werden - Der Friedhof in Manheim
Jedesmal, wenn ich zum Hambi fuhr und fahre komme ich an Manheim und auch am dortigen Friedhof vorbei. Die Zerstörung und Verwüstung Manheims habe ich bereits mehrfach seit Herbst 2018 dokumentiert und sie hat mich jedesmal fassungslos gemacht. Die Besichtigung des Friedhofs hatte ich mir erspart.
Am 16. März 2019 hatte ich mich spontan entschlossen nun auch den Friedhof zu besuchen. Schon vor dem Betreten wurde klar, was mich hier erwarten würde. Ein, durch ein Absperrgitter versperrter, Seiteneingang gab den Blick auf leere, von Hecken abgeteilte Flächen frei. Das Zugangstor zum Friedhof stand offen, die Anlage war menschenleer.
Selten habe ich einen derart trostlosen Ort besucht. Vom Friedhof hatte ich den direkten Blick auf die vom Abriss bedrohte Kirche von Manheim und die davor liegende Trümmerlandschaft. Inmitten der größtenteils bereits geräumten Friedhofsfläche befanden sich vereinzelte Gräber. Nun ist der Anblick von Gräbern ohnehin nichts, was mich aufmuntert, aber dieser Friedhof machte mich einfach nur fassungslos. Hier wurde und wird "abgewickelt".
Auf vereinzelten Gräbern waren Schilder aufgestellt, deren Aussage für mich die ganze menschenverachtende und zynische Kälte des sogenannten Umsiedlungsprozesses symbolisierten:
"Nutzungsberechtigte bitte beim Friedhofsamt melden"
NUTZUNGSBERECHTIGTE! Menschen, die Ihre Familienmitglieder und Freunde auf diesem Friedhof beigesetzt hatten, Angehörige wurden zu Nutzungsberechtigen.
Ein Friedhof wurde und wird im Interesse der RWE abgewickelt wie eine Schrebergartensiedlung oder ein zum Abriss bestimmtes Parkhaus mit Nutzungsberechtigten.
Vor langer Zeit habe ich gelernt:
"Gedanken formen Sprache - Sprache formt Gedanken".
Hier wird mit aller Deutlichkeit klar, wie richtig dies ist.
Der Wiederaufbau
Anarchie & Doppelmoral
Ein heikles Thema!
Leider musste ich mit den Aktivisten im Wald nicht nur positive Erfahrungen machen.
Menschen, die es gut fanden, wenn ich die Polizei, RWE-Mitarbeiter oder Schlägertrupps aus RWE-Mitarbeitern bei ihren Aktionen photographierte wollten mir verbieten Photos von sich zu machen. Die Argumentation war dabei fast deckungsgleich mit der Argumentation ihrer Gegner.
Nun ist "Pressefreiheit" aber kein Wunschkonzert. Und so wenig wie ich je einen Bullen um Erlaubnis bitte ihn bei einer Räumung zu photographieren, so wenig bitte ich irgendjemanden anderes um eine solche Erlaubnis. Meine Photos wären sonst auch gar nicht möglich.
Das ich hierbei rechtlich auf der sicheren Seite bin sei nur am Rande erwähnt. Es handelt sich um "Ereignisse der Zeitgeschichte" und ich stelle presserechtliche Öffentlichkeit her. Zensur findet mit und bei mir nicht statt. Punkt!
Insbesondere seit der Räumng im Herbst 2018 hat sich in meiner Wahrnehmung die Aktivistenszene im Wald verändert. Ich erlebe zunehmende Intoleranz gegen Andersdenkende und dogmatische Denkstrukturen. Weil ich Fleisch esse wurde ich als "Mörder" bezeichnet.
Weil ich mich nicht genderneutral oder -konform artikuliere wurde ich als "Sexist" bezeichnet. Weil ich selbst die Entscheidung darüber treffe, mit welchem Kletterzeug ich in den Baum steige wurde ich "als dummer, alter Mann" bezeichnet und es wurde versucht, mir mein Material abzunehmen.
Das bemerkenswerte daran ist, dass sich Menschen, die eine anarchistische und tolerante Lebensform propagieren sich der exakt gleichen Verhaltensweisen zur Durchsetzung ihrer "Standards" bedienen wie das System, welches sie ablehnen. Nun ist dieses Phänomen für mich nicht neu. Auch in der Besetzerszene des Stollwerck 1980 gab es das. Dort versuchten unterschiedliche "Gralshüter der Besetzung" am Ende mit Gewalt ihre Standpunkte gegeneinander durchzusetzen. Hippies gegen Punks war damals das Thema.
Auch das Thema "Gewalt" im Kontext #HambiBleibt ist nicht ganz einfach für mich. Ich bin perse kein Pazifist. Gegenwehr halte ich für völlig legitim. Mit proaktiver Gewalt, insbesondere gegen Menschen, habe ich allerdings ein Problem. Ich gebe aber zu, dass ich das mit 18 auch anders gesehen habe.
Nun ist es so, dass aus meiner Sicht kein einziger Fall von Gewalt gegen Menschen durch Aktivisten seit September 2018 belegt werden kann. Die Polizei hat mehrfach entsprechende Anschuldigungen - Zwillenbeschuß, Molotowcocktails, Fallen etc. - vorgebracht, ist aber jeden überprüfbaren Beweis schuldig geblieben. Vielmehr lösten sich bei kritischer Betrachtung die Vorwürfe im Wohlgefallen auf. Angebliche Beweise waren z.B. steinalt und stammten aus der Asservatenkammer. Überprüfbare Belege von Gewalt gegen Aktivisten seitens Polizei und RWE-Security bzw. -Anhängern gibt es dagegen reichlich, sowohl auf Photos als auch in Videos.
Kurz und gut: Ich habe meine Prinzipien und bleibe diesen treu. Wer versucht, mich mit repressiven Methoden zu ihm genehmen Handlungen zu bewegen wird meinen entschlossenen Widerstand zu spüren bekommen. Gleichgültig ob er Bulle oder Waldbesetzer ist.
Eines dieser Prinzipien hat etwas mit Respekt zu tun. Wie so vieles im Leben ist auch das keine Einbahnstraße!
Und manche Dinge sind schlicht nicht verhandelbar! Wenn es um mein Leben geht, dann treffe ich die Entscheidungen.
Bei aller Kritik die ich formuliere ist eins aber unumstößlich klar. Ich bin ein erklärter Gegner des von Konzernen und deren Lobbyisten gesteuerten Systems in dem wir leben. Was ich über Polizei denke habe ich ganz am Anfang beschrieben. Meine Sympathien sind klar auf Seiten der Waldbesetzer und bei Organisationen wie Ende Gelände. Dem Großteil unserer Medien traue ich inzwischen auch nur noch bedingt. Bumsblättern wie der BILD überhaupt nicht.
Und ganz wichtig: Die AfD halte ich für eine rechtsradikale, faschistische Drecksbande. Ihre Wähler sind entweder strunzdumm oder eben Nazis.
Nette Menschen, starke Gefühle und geschenkte Stiefel
Die Bandbreite meiner Empfindungen im Hambacher Forst ist groß...riesengroß. Sie reicht von Wut und Hass über Angst bis zu Hoffnung und Freude.
Als ich z.B. im Rahmen der Räumung von Lorien das Bild von 2 sich im Arm haltenden Menschen - eingehüllt in eine Rettungsdecke und umstellt von behelmten Cops - machte, überkam mich ein kurzes Gefühl von Hoffnung.
Während meiner Zeit im Wald, im Hambi-Camp und der Mahnwache habe ich eine Vielzahl interessanter und liebenswerter Menschen kennenlernen dürfen. Ich habe viele spannende Gespräche geführt und viel über die Motive, Träume und Hoffnungen anderer Menschen gelernt. Und ich habe viel über mich gelernt.
Besonders beeindruckt hat mich, dass quasi alle Versuche der Staatsmacht die Aktivisten im Hambi zu gewalttätigen Reaktionen zu provozieren, gescheitert sind. Diese Geduld, diese Konsequenz und auch diese Leidensfähigkeit gehen mir leider völlig ab. Respekt!
Nach der Räumung des Barrios Norden hielt eine Aktivistin namens Winter eine spontane Ansprache.
Ich hatte die gesamte Räumung dokumentiert und stand während ihrer Rede direkt vor ihr. Es war einer der ergreifendsten und emotionalsten Momente in meinem Leben, ich hatte Tränen in den Augen und schäme mich dieser nicht.
Das Video wurde ca. 2 Mio mal gesehen und es wurde viel darüber geschrieben, meist von Menschen, die nicht vor Ort waren, denn tatsächlich waren neben den Cops nur 5 Menschen dabei. Soviel sei gesagt, das Geschreibe von den mit den Tränen kämpfenden Bullen ist Unsinn! Wer es trotzdem glauben will, der mag es tun.
...und dann die Sache mit den Stiefeln. Nach der Wiesen-Razzia lösten sich an meinen Wanderstiefeln die Sohlen...vollflächig...Reparatur unmöglich.
Da ich am nächsten Tag erneut vor Ort sein wollte, weder das Geld noch die Zeit zum Kauf neuer Stiefel da war und ich auch nix geeignetes im Schrank hatte, hab ich mal auf Twitter nachgefragt, ob jemand ein paar olle Wanderboots für mich hat.
Was soll ich sagen? Am nächsten Tag kam ein "Waldfreund" zur Mahnwache und hat mit quasi neuwertige und perfekt passende Lowa Stiefel geschenkt. Unfassbar aber war!
Vorbereitungen für meinen Aufstieg
In der Zeit nach der Räumung 2018 habe ich mehr und mehr die Idee entwickelt, nicht nur vom Boden aus sondern auch aus der Perspektive der Baumhausmenschen zu dokumentiern. Voraussetzung dafür - hochkommen ;-)
Also habe ich im Januar 2019 begonnen das Klettern am Seil zu lernen. Wie schon im Kapitel "Anarchie & Doppelmoral" beschrieben, kein ganz einfaches Unterfangen.
Im Wald gibt es so etwas wie einen "Konsens fürs Aktionsklettern". Bedeutet? Einheitliches Klettern mit minimaler Ausrüstung. Diese besteht aus einem Klettergurt, 2 Schlingen für Prusik-Knoten, einer Fußschlaufe 2-3 Karabinern und einer Abseil-Acht. Ich hab es mir zeigen lassen, ich hab es trainiert, ich weiß wie es geht - ich werde es so nicht machen! Gründe? Gehen nur mich was an.
So sehr ich verstehe warum es diesen "Konsens" gibt und diesen zum Teil sogar gut und richtig finde, sowenig lasse ich mir meine Ausrüstung vorschreiben und so wenig geeignet ist diese Methode für mich.
Also habe ich begonnen mit dem "Besten und Feinsten" zu trainieren was es am Markt gibt ;-) Alles von lieben Menschen gesponsored bekommen. Petzl Rig, Petzl Handsteigklemme, Petzl Umlenkrolle....und tatsächlich, in der Kletterhalle bin ich so mehrfach auf ca. 15 Meter Höhe gekommen.
Geübt wurde zuerst mit einem Seil im Treppenhaus, bei gutem Wetter dann unter einer Brücke oder auch an einem Dachbalken vor der Terrasse ;-) Je mehr ich mit diesen Geräten gearbeitet habe, desto mehr wollte ich meine Ausrüstung minimieren. Das hat u.a. auch mit der Haltung von Team Blau zu tun.
Weniger und kleinere Ausrüstung lässt sich schlicht besser verstecken. Inzwischen komme ich mit 2 kleinen Seilklemmen (quasi Prusiks aus Metal) und 3 Karabinern, einer kurzen und einer langen Schlaufe aus. Alles zusammen passt in die Hosentasche. Abwärts geht es entweder mit einem tube oder im Hubsteiger der Bullen ;-)
Mein eigentliches Problem ist nur noch die Kondition. Ich gehe auf die 60 zu, bin wenig sportlich und ca. 20cm zu klein für mein Gewicht.
Inzwischen habe ich ein Barrio gefunden, in dem ich mit meiner Ausrüstung ohne dogmatische Grundsatzdiskussionen akzeptiert werde. Dort plane ich die kommende Räumung von oben zu dokumentieren.
Vorher heisst es - trainieren ohne Ende!
Der Hambacher Wald - Impressionen & Gedanken
Ganz nüchtern betrachtet ist der Hambacher Wald in seiner jetzigen Form der 200 ha große Rest eines einstmals über 4.000 ha großen Mischwaldes. Aber damit wird man diesem Wald nicht gerecht.
Der Hambacher Wald ist auch ein Symbol. So wie auch Brockdorf und Wackersdorf Symbole für eine atomfreie Zukunft waren. Der Hambi ist das Symbol für den Kampf um eine Zukunft ohne weitere Luftverschmutzung durch die Verbrennung von Kohle. Er ist ein Symbol für den Kampf gegen eine menschenverachtende Politik, die Zwangsenteignungen und Zwangsumsiedlungen von tausenden Menschen zuließ und weiter zulässt. Er ist ein Symbol für den Kampf gegen RWE, einen Konzern, der mit unglaublicher Arroganz die Interessen der Menschen - nicht nur in der Region - missachtet, dem Profit über alles geht.
Ich könnte noch zahllose weitere Bedeutungen aufführen. Vermutlich ist der Hambi für jeden der für oder gegen seinen Erhalt kämpft etwas anderes.
Im Hambi wurde geliebt und gehasst, gestreichelt und geprügelt, gesungen und geschrien, gelacht und geweint. In diesem nur 2 qkm großen Wald konzentrieren sich Emotionen wie nur an ganz wenigen Orten. Wer offen ist kann das spüren. Was dieser Wald in mir auslöst ist jedesmal anders und hängt auch von meiner jeweiligen Verfassung ab. Es gab Tage, da konnte ich es kaum ertragen vor Ort zu sein.
Nicht nur während der Räumung gab es dieses Gefühl. Es gab Tage, da spazierte ich alleine Nachts durch den Hambi und fühlte mich sicher und geborgen.
Ich habe die letzten 30 Jahre ein mehr oder weniger bequemes Leben geführt. Ich habe Musiker und Schauspieler photographiert, mich in Büros, Konzerthallen und zuhause aufgehalten. Künstliche Lebensräume ohne heftige, emotionale Ausschläge bestimmten im Wesentlichen meinen Alltag.
Mit meinem Engagement für den Hambacher Forst ändert sich das radikal. Plötzlich war ich über Tage draußen und dem Wetter ausgesetzt. Statt im bequemen Bett habe ich im Auto geschlafen. Gewalt habe ich nicht mehr als Konserve in den Nachrichten sondern live und teilweise am eigenen Leib erfahren. Solidarität war nicht mehr nur ein Wort sondern ein erlebter Fakt - gebend wie nehmend.
Mit deutlich über 50 mitten in einer gewaltsamen Räumung zu stehen und zu photographieren war und ist weit weg von meiner normalen bürgerlichen Existenz. Ich hatte erstaunlicher Weise nur sehr selten Angst und wenn, dann meist um die Aktivisten.
Aber ich hatte das sehr intensive Gefühl zu leben und - endlich mal wieder - das "Richtige" zu tun. Im Wald zu sein und zu photographieren hatte einen Sinn, viel mehr Sinn als irgendwelche Stars zu portraitieren.
Ich bin im Hambi kein anderer Mensch geworden, aber vieles was verschüttet, verdrängt oder eingeschlafen war kam wieder zum Vorschein. Meine Leidenschaft für eine "gute Sache" einzustehen, meine Lust Risiken einzugehen, meine Freude, Geschichten durch Bilder zu erzählen.
Ich weiß jetzt wieder sehr genau, warum ich seit meiner Jugend keine Cops mag - weil sie sich immer noch genauso verhalten wie vor 40 Jahren.
Ich wurde von vielen Menschen so akzeptiert wie ich eben bin. Ein Erlebnis, das ich im Alltag eher selten habe. Die negativen Erlebnisse waren auch wichtig. Einige haben mich daran erinnert, wie ich als junger Mensch drauf war, andere haben mir den Spiegel vorgehalten und einige haben mir gezeigt, dass es eben überall Idioten gibt.
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Für mich war und ist der Hambi eine physische, psychische, intellektuelle und emotionale Frischzellenkur - manchmal auch Achterbahn.
Es ist jetzt Mitte März 2019 und niemand weiß genau, wie es mit dem Hambi weitergeht. Sicher ist, dass die Polizei die Baumhäuser wieder räumen wird. Sicher ist, dass RWE die Baumhäuser wieder zerstören wird und jeden widerlichen Trick anwenden wird, der dazu führt, dass der Hambi zerstört wird.
Sicher ist auch, dass ich wieder vor Ort sein werde. Ich weiß nicht in welchem Umfang, aber ich werde wieder da sein wenn es notwendig ist.
.....am Ende ist der Hambi übrigens einfach nur ein ganz wundervoller Wald, den es lohnt zu besuchen. Leise, damit die Haselmäuse sich nicht erschrecken....
Max (Dienstag, 23 April 2019 21:49)
Ich bin beeindruckt. Klare Sprache, emotional, vieles deckt sich mit meiner Sicht. Schön zu wissen das noch Menschen gibt, die weder zwingend dogmatisch noch opportun sind. Das Bildmaterial ist einfach großartig !
Ulrike (Mittwoch, 27 März 2019 18:29)
Danke für den Bericht. Grad FA ich nicht vor Ort sein kann,ist es gut für mich,das Geschehen so zu erleben.
Jojo (Donnerstag, 21 März 2019 13:28)
Danke!
Wenn mich künftig jemand fragt, warum ich mich mit 62 Jahren plötzlich wieder für Widerstand, Demos, und Hambisupport interessiere, dann gebe ich einfach den Link zu diesem Blog weiter. Besser kann ich es nie und nimmer erklären.
Werner (Mittwoch, 20 März 2019 23:06)
Vielen Dank für den deine sehr nachdenkliche und authentische Dokumentation deiner Erlebnisse. Ich bin sehr Beeindruckt das du in deinem Alter noch solche harten Strapazen auf dich nimmst. Finde ich sehr gut. Ein Mensch lernt am meisten durch Erfahrung und die gibt es nur wenn man selbst aktiv wird. <3
Ich selbst war mehrfach im Wald meist nur für wenige Stunden. Meist allein, und nicht mit den Führungen. Habe später auch viele Lifestreams mit verfolgt. Diese Eindrücke die du Beschreibst kann man nur erleben wenn man mittendrin im Geschehen ist. Was die meisten Medien berichten ist entweder unvollständig oder völlig verdreht und oft auch einfach frei erfunden. Wie groß der Wahrheitsgehalt der Medien im Zusammenhang mit anderen Geschehnissen in der Welt sein muss ,wird mit deinem Werk mehr als Deutlich. Mit der Polizeigewalt, die habe ich auch an einem Sonntag live und in Farbe erleben dürfen. Bei den Polizisten gibt es unbestritten einen erheblichen Anteil von aggressiven Sadisten die es toll finden Menschen niederzuknüppeln. Zu den Besetzern kann ich auch Bestätigen das da jetzt nach der Räumung viele andere sind. Und Respekt und Toleranz gegenüber Waldbesuchern für einige ein Fremdwort ist. Denen geht es auch nicht um die Sache sondern nur darum anderen Ihre Meinung mit Gewalt aufzuzwingen. Da ist kein Leben und Leben lassen. Manche von denen sind so verblendet das denen die Realität völlig abhanden gekommen ist. Genauso wie es bei abgehobenen Politikern oder bei uneinsichtigen Trieb und Gier gesteuerten Konzern Vorständen oft beschrieben wird.
Gruß Werner
Regina (Dienstag, 19 März 2019 13:19)
Du sagst mit Worten vieles, was andere fühlen. Ich war nicht körperlich dabei, jedoch jeden Tag per Livestream und es ließ mich oft erstarren und Wut kam hoch, das Gefühl sofort hinzumüssen und etwas zu tun. Auf der Demo war ich und ich war zwiegespalten. Auch wir suchten später irgendwo einen Platz der Ruhe. Meine Schwester war extra mit einem Bus aus Hannover angereist und die Fahrt muss grauenhaft gewesen sein, zumal sie später kaum bis zum Platz vorkam. Egal ob Volksfest oder nicht, ich glaube alle hatten große Emotionen und das Gefühl, endlich etwas tun zu können und sei es, einer von 50000 zu sein. Mich hat das alles endlich wachgerüttelt, auch durch Beiträge wie die Deinen. Vielen Dank! Ich kann auch nicht mehr nur passiv zuschauen.Bin zwar kein Besetzer, aber Nachbar, Freund, Arbeitskollege, Ökotusse.....Waldspaziergänger und Dorfbesucher.
Ich halte meinen Mund nicht und bin ich in der Nähe, bring ich Schokolade und warme Pullover vorbei. Wer weiß, vielleicht sitz ich demnächst auch in einer Sitzblockade...
Danke und lieben Gruß, Regina Jacobs
Rieke (Mittwoch, 13 März 2019 17:42)
Tolle Bilder und ein ehrlicher, emotionaler Bericht.
So nah dran war ich nicht, klar, aber ich schleppe seitdem genug Negativgefühle mit mir und sofort ist die Wut wieder da! Gut so, kein Vergessen und deshalb vielen Dank �
Kurt (Mittwoch, 13 März 2019 11:11)
ich finde es bemerkenswert und gut, dass jemand der offensichtlich auf Seiten der Besetzer steht sich auch kritisch zu den Vorgängen um den Hambi äußert.
Elsbeth (Dienstag, 12 März 2019 16:00)
Habe nur an einem Tag, danach war ich so schockiert, bis heute, mit eigenen Augen gesehen, (bekomme schon wieder Herzklopfen )mit welchen Mitteln und mit welcher Brutalität, Polizisten in voller Montur und Ausstattung auf wehrlose Menschen eingeschlagen haben , das habe ich in einem Land wie Deutschland nicht für möglich gehalten .
Andy (Dienstag, 12 März 2019 11:33)
Tja, was soll ich sagen? Danke! Danke für deine Worte. Ich bin sehr beeindruckt und bewegt. Es ist so immens wichtig für die Aktivisti und Supporti das gezeigt und geschrieben wird was, jenseits der "nachplapper Presse", im Hambi abgegangen- bzw. noch ab geht.
Nazisaufsmaul (Montag, 11 März 2019 21:17)
Großen Dank und großes Lob an dich für diese Berichte. Schön, dass du dran und vor Ort bleibst!